Die Bierdusche des Klangs

Holger Schulze:
Die Bierdusche des Klangs.
Sensologiekritik bei Deichkind

Jahrestagung 2016 der Gesellschaft für Medienwissenschaft:
KRITIK!

Panel Pop-Kritik | Kritik-Pop: Popmusik als Medienkritik
Referenten: Prof. Dr. Marcus Stiglegger, Prof. Dr. Marcus S. Kleiner, Prof. Dr. Holger Schulze
Moderation: Dr. Sven Stolfuss (Universität Bayreuth)

Location

Freie Universität Berlin
Raum A(L 115)
Otto-von-Simson-Str. 26
14195 Berlin-Dahlem

Time

12.15pm

Programme

Jahrestagung 2016 der Gesellschaft für Medienwissenschaft

Abstract (in German)

Eine Kritik an den Praktiken, Produkten und Rezeptionsformen des Pop ist vor allem eine Kritik an sensorischen, physischen und materiellen Ereignissen. Diese Form der Kritik erlangt mit dem Konzept der „Sensologie“ des italienischen Philosophen Mario Perniola (Über das Fühlen, 2008) eine Wucht des Arguments. Perniola zufolge repräsentieren Medien, Artefakte, Apparate, Filme und Bilder nicht allein Bedeutungen, Diskurse oder Ikonographien, Metaphorologien: sie wirken vielmehr „sensologisch“ durch den Gebrauch der Sinne, den sie bahnen, trainieren und präferieren. „Sensologische“ Artefakte sind darum in der Gegenwart weitaus bedeutsamer und wirkmächtiger als jede ideologische Theorieschrift. Die Artefakte der Medien üben konstruktive Kritik an den Praktiken ihrer sensorischen Rezeption – und werden umgekehrt zum dringlichsten Gegenstand fundamentaler Kritik. Kritik der Apparate und des Mediengebrauches ist politische Kritik.
Dieser Vortrag unternimmt den Versuch, anhand einzelner Ausschnitte von Konzerten, von medialen Artefakten, von Erzählungen und anhand der kollektiven Persona die „Sensologie“ von  „Deichkind“ zu untersuchen. Die Bühnenauftritte von „Deichkind“ sind im Laufe der 2000er Jahre kontinuierlich zu extremen Performances weiterentwickelt worden, die sowohl aktuelle Bühnentechnik als auch arme, abjekte und mitunter abstoßende Materialien nutzen. Dieser „Kindergeburtstag für Erwachsene“ wird mit einem stetig umsortierten Kollektiv aus Performern und Produzenten kontinuierlich weiterentwickelt und bildet die Grundlage auch für Auftritte in Musikvideos, auf Websites und in Fernsehshows. Mithilfe des Ansatzes von Perniola sollte es möglich sein, zum einen die sensorischen Praktiken und affektiven Dispositive (z.B. physiologischer Exzess, kollektive Abfahrt, affektive Verwirrungen) anhand konkreter medialer Auftritte und Artefakte als Form der Kritik zu rekonstruieren – und ihrerseits zu kritisieren. Medienkritik ist in diesem Fall sensorische Kritik: Sensologiekritik als Ideologiekritik in materiellen Popmusikkulturen.